3. Tagung: Zwischen Innerlichkeit und Intuition: Protestantische Individualitätskultur(en)

18. und 19. September 2015, LEUCOREA | Wittenberg

In demokratischen Verfassungsstaaten wird das Leben des Einzelnen sehr wichtig genommen. Vom Recht geschützt, sozial gefördert und von anderen anerkannt kann sich der einzelne Mensch frei entfalten (Individualität). Dazu gehört auch die Religionsfreiheit, das heißt: niemand erleidet als Bürger Beeinträchtigungen wegen seiner (Nicht-)Zugehörigkeit zu einer Konfession. Solche individuelle Freiheit in Glaubensdingen steht demnach aber unter institutionellen Bedingungen. Umgekehrt vermittelt das Individuum seine Überzeugungen immer in irgendeiner, sei es auch alternativen Form von Institutionalität. Diese Situation hat eine Herkunftsgeschichte; wer heute über Individualität spricht, muss nach dieser Herkunft fragen.

Auf der Suche nach Antwort stößt man auf drei protestantische Impulse zur modernen Individualität. Mit der Reformation kommt die Gottunmittelbarkeit des einzelnen Menschen zum Zuge: Gewissen lassen sich nicht zwingen und die Seelen sollen nicht mit Eisen regiert werden. So entsteht, was in moderner Perspektive die Innerlichkeit des Glaubens heißt. Sie ist in der Reformationszeit allerdings ohne kirchliche und politische Institutionen unvorstellbar. Daher landet die Rückfrage bei einem zweiten, späteren Impuls. Die Entstehung der Konfessionskirchen wird von der institutionskritischen Frage nach dem Wahren Christentum begleitet. Seit etwa 1700 fragen Pietismus und Aufklärung im Zeichen einer alternativen Geselligkeit nach der individuellen Aneignung des Glaubens – inklusive der Freiheit, beide ganz abzulehnen.

Nun entsteht im Protestantismus eine optimistische Einstellung zur Individualität, die auch in der Lebenspraxis fassbar wird. Neue Lebenselemente von Individualität sind Recht und Ethik, vor allem aber auch die Künste und ihre Theorie. In diesen freien ästhetischen und ethischen Aneignungen des Glaubens verkörpert sich der dritte Impuls, dessen Sinn und Chancen im Christentum bis heute unterschiedlich beurteilt werden. Gewiss ist nur, dass die Frage nach Reichweite und Berechtigung von Individualität immer wieder neu gestellt werden muss. Prägnante Individualität, so die These der Tagung, ist meist Antwort auf eine Frage oder aber sie richtet selbst eine Frage ans Leben. Daher muss die Kirche eine individualitätsfähige Institution sein.

Impressionen von der Tagung

  • Referenten bei der Tagung

    waren unter anderem (v.l.n.r): Prof. Dr. Jan Rohls, Prof. Dr. Eberhard Harbsmeier, Prof. Dr. Ernst-Joachim Waschke, Dr. Christian Senkel, Prof. Dr. Jörg Dierken und Dr. Marianne Schröter

    Bild: Michael Gruschwitz (IMLS)

  • Dr. Thomas A. Seidel, geschäftsführender Vorstand der Internationalen Martin Luther Stiftung

    bei seinem Grußwort

    Foto: Michael Gruschwitz (IMLS)

  • Prof. Dr. Eberhard Harbsmeier

    bei seinem Vortrag »Das Selbst in der Tradition von Luther und Kierkegaard. Zur Kulturgeschichte des Selbst«

    Foto: Michael Gruschwitz (IMLS)

  • Im Gespräch

    Propst Siegfried T. Kasparick & Dr. Thomas A. Seidel

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Prof. Dr. Ernst-Joachim Waschke

    Vortstandsvorsitzender der LEUCOREA bei seinem Grußwort

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Teilnehmer & Gäste

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Wolfgang Böhmer

    im Gespräch mit PD Dr. Alf Christophersen zum Thema "Individualismus und gesellschaftliche Herausforderungen"

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Prof. Dr. Wolfgang Ruf

    über "Ausdruck und Individualität in der Musik"

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Prof. Dr. Jan Rohls

    über "Die Entdeckung der Individualität und die Reformation"

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Prof. Dr. Jörg Dierken

     

    Foto: Cornelia Kirsch

  • Prof. Dr. Martin Laube

    referiert zum Thema "Ist Individualität institutionalisierbar? Zu den Folgelasten protestantischer Individualitätskultur"

     

    Foto: Cornelia Kirsch

Veranstalter: Internationale Martin Luther Stiftung,
Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt e.V.,
Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt,
Stiftung LEUCOREA,
Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Koordination: Internationale Martin Luther Stiftung
Evangelisches Augustinerkloster Erfurt
Augustinerstraße 10
D-99084 Erfurt
Tel.: +49 361 / 64 41 87 47
Fax: +49 361 / 64 41 87 49
Förderer: